Tschernobyl 1986

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Der GAU wurde Wirklichkeit

    "Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los", klagt Goethes Zauberlehrling, der seine Selbstunterschätzung zu spät bereut. Ihn ereilt die Katastrophe, die er selbst herausgefordert hat. Auch die Idee, sauberen, umweltfreundlichen und billigen Strom aus der Atomkraft zu gewinnen, hat zunächst etwas Bestechendes. In der Praxis allerdings stellt sich heraus, dass die Hoffnung auf perfekte Technik zu Unrecht die fatale menschliche Unzugänglichkeit ignoriert. Ein GAU ist die Folge.

 

Es ist ein Frühling wie im Bilderbuch, der Ende April 1986 beginnt. Die Luft ist lind, die Sonne scheint, die Bäume zeigen ihr erstes Laub. Meteorologisch gesehen ist ein stabiles Hochdruckgebiet über Osteuropa für die Schönwetterperiode verantwortlich. Leichte Gewitter am 30.April trüben die Frühlingsstimmung kaum. Zwar wurden schon am 27. und 28. April in Finnland und Schweden erhöhte radioaktive Werte unbekannter Ursache gemessen, doch weiß niemand diese Meldung einzuordnen. Zunächst glaubt man an einen Unfall im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark, das 100 Kilometer nördlich von Stockholm liegt; doch die Forscher vor Ort können rasch Entwarnung geben. Auch Strahlung aus einem Atomwaffentest, die häufig nicht bekannt gegeben werden, kann ausgeschlossen werden - das Rätsel bleibt bestehen. Am Abend des 28.April 1986 gibt die sowjetische Regierung in Moskau bekannt, dass im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl 100 Kilometer nördlich von Kiew ein Störfall aufgetreten sei. Ein Graphitbrand im Block 4 des Druckröhren-Siedewasserreaktors hat zur Kernschmelze und infolgedessen zu einer enormen Explosion und schweren Bränden geführt. Man spricht von 32 Unfalltoden.

Das Gewitter vom 30. April bekommt für die Menschen in Süddeutschland und Österreich eine ganz neue Bedeutung. Denn nun ist klar, dass die Regenwolken, die aus Osteuropa nach Westen gezogen sind, große Mengen radioaktiver Partikel enthalten, die die ganze Region radioaktiv verseucht haben. In München erreicht die radioaktive Belastung einen Wert 150 Becquerel - das ist 15mal so viel, wie normalerweise gemessen wird. Zunächst sind die Menschen verunsichert, später bricht bei vielen Panik aus. Schwangere Frauen fürchten um ihre Ungeborene viele Menschen haben Angst vor Krebs oder genetischen Schäden. Die deutsche Bundesregierung warnt am 2. Mai erstmals vor dem Genuss von Frischmilch und Blattgemüse. Die ganze Bevölkerung diskutiert lebhaft über Maßnahmen, die Bedrohung möglichst gering zu halten; selbst Privatleute kaufen Geigerzähler, in der Illusion, sich damit selbst ein Bild über die Strahlenbelastung machen zu können. Das Für und Wider der Einnahme von Jodtabletten wird ebenso diskutiert, wie Empfehlungen der Art, sich nach jedem Aufenthalt im Freien die Haare zu waschen oder Oberbekleidung und Schuhe zu wechseln. Kinderspielplätze und die Liegewiesen der Freibäder bleiben vielfach leer. In ganz Westeuropa wird die Diskussion über die sogenannte friedliche Nutzung der Atomenergie wiederbelebt. In der DDR wurde das Ganze Unglück erst Tage später bekannt. Dafür gab es reichlich Obst, Gemüse sowie Pilze, die man im Westen nicht mehr kaufen wollte.

Im Rückblick wird deutlich, dass man darüber ein wenig vergisst, an die unmittelbaren Opfer zu denken, die Menschen in der Ukraine, in Tschernobyl und den Dörfern der Umgebung. Dort herrscht das nackte Elend. Obwohl Michael Gorbatschow behauptet, das Schlimmste habe verhütet werden können, sieht die Realität ein wenig anders aus. In einem Umkreis von 30 Kilometer um das Atomkraftwerk von Tschernobyl leben rund 100 000 Menschen, davon 49000 in der Stadt Pripjat und etwa 12 500 in Tschernobyl selbst. Erst 36 Stunden nach der Katastrophe entschließt sich die Regierung, rund 135 000 Menschen aus den knapp 200 Städten und Dörfern in diesem allerengsten Umkreis zu evakuieren. Wie viel sie über das wahre Ausmaß der Katastrophe erfahren, weiß aber niemand. Wenige Jahre später sind die Folgen des GAU´s nicht mehr zu leugnen: Krebskranke und geschädigte Kinder und Erwachsene in der gesamten Region. Der GAU in dem Kernkraftwerk Tschernobyl setzt rund 50 Millionen Curie an radioaktiver Strahlung frei. Durch den Graphitbrand im Reaktor und die enorme Wärmeentwicklung, die sich erst nach Tagen stabilisieren lässt, entsteht ein Auftrieb, in dem radioaktiven Partikel bis zu 1700 Meter emporsteigen - die Ausgangsbedingung dafür, dass die Strahlenwolken bis weit nach Mittel- und Südeuropa ziehen können. Der Reaktor setzt weiterhin fast ungehindert Radioaktivität und Wärme frei. Zunächst wirft man Dolomit, Blei und Sand über der Unglücksstelle ab. Im Juni beginnt man mit dem Bau einer Ummantelung aus 6000 Tonnen Stahl und 300 000 Kubikmetern Beton; unter dem Sarkophag aber strahlt der Reaktor weiter, und das wird noch viele, viele Generationen lang so bleiben.

Tschernobyl und die Folgen

Obwohl die Havarie des ukrainischen Atomkraftwerks die Welt erschüttert hat, zieht man nicht unbedingt Konsequenzen für die sogenannte friedliche Nutzung der Kernenergie. Die Bundesrepublik Deutschland bekommt ihren ersten Umweltminister, doch setzt außer Österreich kein europäisches Land die Erzeugung von Atomstrom aus. Dabei war der GAU (der ,,Größte anzunehmende Unfall") von Tschernobyl nicht die erste Katastrophe in einem Kernkraftwerk. Kleinere Störfälle und das aus Sicherheitsgründen erzwungene Abschalten von Reaktoren kommen nicht selten vor. Zu den größten bis 1986 bekannt gewordenen Unfällen gehört ein Brand in dem Reaktor Windscale 1 in Großbritannien, der am 10. Oktober 1957 zur Freisetzung von 20 000 Curie radioaktiver Strahlung führt. Am 3. Januar 1961 wird im amerikanischen ldaho ein Forschungsreaktor überholt. Drei Soldaten sterben. Im norddeutschen Siedewasserreaktor Brunsbüttel werden am 18. Juni 1978 aufgrund eines Bedienungsfehlers rund 250 Curie radioaktiver Strahlung freigesetzt. Am 28. März 1979 kann im Kernkraftwerk Three Mile Island in letzter Minute eine Kernschmelze verhindert werden. Ursache: ein Bedienungsfehler der Betriebsmannschaft.